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Entwicklung eines Land-Gewässer Bewirtschaftungskonzeptes
zur Senkung von Stoffverlusten an Gewässer
(Stör-Projekt I und II)
im Auftrag des Bundesministeriums
für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF)
und des Landesamtes für Wasserhaushalt und Küsten Schleswig-Holstein
Förderkennzeichen: 0339310A und 0339538
Endbericht
Berlin, im Februar 1996
(Redaktionelle Überarbeitung 2008)
Wissenschaftliche Leitung:
Prof. Dr. W. Ripl, TUB
in Zusammenarbeit mit:
Prof. F. Trillitzsch, TUB
Dr. R. Backhaus, DLR
Prof. Dr. H.-P. Blume, CAU
Prof. Dr. P. Widmoser, CAU
Bearbeitung des Abschlußberichts:
Dipl.Ing. Th. Janssen, TU Berlin
Dipl.Ing. Ch. Hildmann, TU Berlin
cand. Ing. I. Otto, TU Berlin
Technische Universität Berlin
Deutsche Forschungsanstalt für Luft und Raumfahrt
Christian-Albrechts-Universität Kiel
<Aus Gründen des Copyright sind einige Graphiken in der vorliegenden Datei nicht enthalten.>
Vorwort
Dieser Ansatz ermöglicht es, die Landschaftsprozesse in ihrer Vielfalt hierarchisch zu gliedern. Nichtlineare, raum-zeitliche Zusammenhänge zwischen dem Energieangebot, der ständigen Potentialverteilung durch das Medium Wasser und den damit gekoppelten Transportprozessen, die zyklischen Stoffflüsse in der Vegetation und die irreversiblen Stoffflüsse über das Bodenwasser und die Fließgewässer zum Meer können damit beobachtet und verstanden werden. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, vage Begriffe wie Nachhaltigkeit bzw. Alterung der Landschaft und Stabilität der Ökosysteme schärfer zu fassen. Diese Begriffe können in einen operationalisierbaren Zusammenhang gestellt und raum- bzw. zeitbezogene Bewirtschaftungsansätze zur Steigerung der Nachhaltigkeit abgeleitet werden.
Es zeigte sich im Laufe des Projekts, daß der Schlüssel für eine wirkungsvolle ökologische Sanierung der Landschaft mit ihren Gewässern nur in flächenbezogenen Maßnahmen der Einzugsgebiete liegen kann. Wasserwirtschaft und Landschaftsplanung müßten der raum- und zeitbezogenen Flächenbewirtschaftung nachgeordnet werden. Die Land- und Forstwirtschaft müßte von der Gesellschaft für die Funktionen der Natur, wie Wasserhaushalt und Klima, und für Ver- und Entsorgung der dichtbesiedelten Gebiete mit Wasser und Nahrungsmitteln leistungsbezogen bezahlt werden. Die Flächenbewirtschaftung müßte verteilungsbezogen, angepaßt und verlustminimierend erfolgen, wobei sich ein wesentlich höherer Anteil der Gesellschaft am Bewirtschaftungsprozeß beteiligt. Dies könnte unsere Landschaft wieder zum Grünen bringen, das Klima und den Wasserhaushalt in der Landschaft stabilisieren und damit die Landschaft als funktionale Basis des Menschen wieder zukunftsfähig machen.
Ich möchte mich an dieser Stelle für die Förderung, den Mut, die Risikobereitschaft und für das in unser relativ kleines Team gesetzte Vertrauen der Mittelgeber, des BMBF - vertreten durch Herrn Ministerialrat Schulz und der Ministerin für Natur, Umwelt und Landesentwicklung des Landes Schleswig Holstein - bedanken. Besonderer Dank gebührt auch dem Abteilungsleiter Gewässer Landesamt für Natur und Umwelt Herrn P. Petersen, Herrn Dipl. Ing. K. Voss sowie Frau Dr. C. Krambeck, die dieses Projekt stets wohlwollend vertreten und durch konstruktive Kritik gefördert haben.
Ein besonderes Dankeschön gilt dem Team im weiteren Sinne, meinem Kollegen Herrn Prof. Trillitzsch, der DLR in Köln-Porz, insbesondere Herrn Dr. Backhaus, der Christian Albrechts Universität in Kiel, den Kollegen Prof. Dr. Blume und Prof. Dr. Widmoser mit ihren Mitarbeitern.
Den Mitarbeitern des Fachgebiets Limnologie der TU Berlin und der Gesellschaft für Gewässerbewirtschaftung möchte ich für ihren bedingungslosen Einsatz im Feld, im Laboratorium, in ihrem Ringen um Verständnis fachübergreifender Schnittstellen, ihre Loyalität und ihren Mut, mit mir auch manchmal gegen den Strom zu schwimmen, ganz herzlich danken. Sie haben sich durch ihre verdienstvolle Arbeit im Störprojekt im besonderen Ausmaß qualifiziert und möchten auch weiter an der notwendigen strukturellen Umgestaltung der Landschaft in Richtung Nachhaltigkeit beitragen. Als wissenschaftlicher Leiter wünschte ich, daß wir mit unserer Arbeit die Gesellschaft für die Probleme der Landschaft sensibilisieren und auf der Basis eines neuen Verständnisses der Zusammenhänge ein wenig von den notwendigen nächsten Schritten überzeugen könnten.
Berlin, im Februar 1996
Wilhelm Ripl
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Kurzbeschreibung des Stör-Projektes (I und II)
A. Einleitung
B. Funktionales Leitbild
C. Gebietsbeschreibung
D. Methodik
E. Untersuchungen zu Kennfeldern und Austragsmechanismen
F. Ergebnisse der Gebietsanalyse
G. Planung
H. Umsetzung
I. Zusammenfassende Projektbewertung
J. Literatur
K. Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Anhang 1: Weitere Methoden
Anhang 2: Graphiken
Inhaltsverzeichnis
Kurzbeschreibung des Stör-Projektes (I und II)
A. Einleitung
B. Funktionales Leitbild
1. Energiedissipation als Grundlage funktionaler Ökosystemanalyse
1.1 Begriffsdefinitionen
1.2 Die Energiedissipation in der Natur
2. Organismengemeinschaften (Zönosenkernstrukturen) als energiedissipative Strukturen
2.1 Die Zönosenkernstruktur
2.2 Wirkungsgrad energiedissipativer Strukturen
2.3 Die Steigerung des Wirkungsgrades (Selbstoptimierung) als thermodynamische Notwendigkeit
3. Der Selbstoptimierungsprozeß als Entwicklung des Wasser- und Stoffhaushaltes in Richtung erhöhter Nachhaltigkeit
3.1 Dynamik in Wasser- und Stoffhaushalt bei geringem Wirkungsgrad
3.2. Dynamik in Wasser- und Stoffhaushalt bei optimiertem Wirkungsgrad
4. Selbstoptimierungsprozeß der Fließgewässer - eine Entwicklung in Richtung maximaler Nachhaltigkeit
4.1. Die Morphologie
4.1.1 Die Morphologie als energiedissipative Struktur
4.1.2 Selbstoptimierungsprozeß bei geringem Wirkungsgrad der Einzugsgebietsstrukturen
4.1.3 Selbstoptimierungsprozeß bei optimalem Wirkungsgrad der Einzugsgebietsstrukturen
4.1.4 Grundlagen einer funktionalen Strukturanalyse
4.2 Die Fließgewässerzönosen
4.2.1 Die Fließgewässer-ZKS als energiedissipative Struktur
4.2.2 Selbstoptimierungsprozeß der Fließgewässer-ZKS bei geringem Wirkungsgrad der Einzugsgebietsstrukturen
4.2.3 Selbstoptimierungsprozeß der Fließgewässer-ZKS bei optimalem Wirkungsgrad der Einzugsgebietsstrukturen
4.2.4 Grundlagen einer funktionalen Strukturanalyse
5. Leitbildanforderungen für natürliche Systeme
5.1 Leitbildanforderungen zur Senkung der Stoffverluste in die Fließgewässer
5.2 Leitbildanforderungen zur Minimierung der Stoffverluste in Fließgewässern
C. Gebietsbeschreibung
1. Lage und naturräumliche Eigenschaften
1.1 Lage und Flächennutzung
1.2 Geologie und Böden
1.2.1 Böden der Jungmoränenausläufer
1.2.2 Böden der Niederen Geest
1.2.3 Böden der Hohen Geest
1.3 Vegetation
2. Historische Entwicklung des Gebietswasserhaushaltes
2.1 Einleitung
2.2 Historische Entwicklung des Wasserhaushaltes im Einzugsgebiet der Stör
D. Methodik
1. Heuristik und Mustererkennung
1.1 Heuristik
1.2 Muster
1.3 Heuristik zur Erfassung des Stoffaustragsprozesses
2. Analyse der Transportprozesse anhand der Gewässermorphologie
2.1 Indikatoreigenschaften der Fließgewässer
2.2 Die Indikatoreigenschaft der Morphologie für die Transportprozesse
2.2.1 Auswahl der morphologischen Parameter
2.2.2 Festlegung der Kartierquerschnitte
2.2.3 Festlegung des Kartierzeitraums
3. Meßkonzept
3.1 Abflußmessung
3.2 Konzentrationsmessungen
3.3 Einsatz der Leitfähigkeitsonden
3.4 Temperaturmessung
3.5 Bodenwasserpegel
3.6 Niederschlagsmessung
4. Fernerkundung
4.1 Flächennutzung
4.2 Oberflächentemperatur
5. Grundlagenkarten
5.1 Flächennutzung
5.2 Bodenkarte
5.3 Digitales Höhenmodell (DHM)
5.4 Karte der Teileinzugsgebiete
6. Abgeleitete Karten
6.1 Hangneigung
6.2 Ökotonenabstand
6.3 Wasserdurchfluß
6.4 Wirkungsgrad
6.5 Vorranggebiete
E. Untersuchungen zu Kennfeldern und Austragsmechanismen
1. Kennfelder zur Zönosenkernstruktur
1.1 Temperatursonden
1.2 Temperaturdaten vom Satelliten
2. Mechanismen der Stofffestlegung und des Stoffaustrags
2.1 Transport- und Reaktionsprozesse im Einzugsgebiet
2.1.1 Anorganische Lösungs-/Fällungsprozesse und biologische Prozesse
2.1.2 Bodenprozesse bei unterschiedlichem landschaftlichen Wirkungsgrad
2.1.3 Einfluß der Partikeloberfläche auf den Stoffaustausch zwischen Wasser und Substrat
2.1.4 Jahreszeitliche Differenzierung des Austragsprozesses
2.1.5 Bedeutung des Abflusses in seiner raum-zeitlichen Verteilung auf den Stoffaustrag
2.2 Stoffestlegung im Gewässer
3. Konzentrationsmuster
F. Ergebnisse der Gebietsanalyse
1. Beurteilung des Störgebietes
1.1 Stoffausträge und Stoffbilanzen
1.1.1 Eintrag über die Niederschläge
1.1.2 Abfluß als frachtbestimmende Größe
1.1.3 Leitfähigkeits-Abfluß-Beziehung
1.1.4 Basenvorräte der Oberböden
1.1.5 Stoffbilanz am Beispiel des Calciums
1.1.6 Anreicherung von Schwermetallen
1.2 Prozeßanalyse
1.2.1 Veränderung der Niederschlagsmuster
1.2.2 Muster des Bodenwasserspiegels
1.3. Fließgewässer als Indikatoren des Wasser- und Stoffhaushaltes des Einzugsgebietes
1.3.1 Die Gewässeranalyse am Beispiel von Himmelreichbach, Osterau und Dosenbek
1.3.1.1 Der Himmelreichbach
1.3.1.2 Die Osterau
1.3.1.3 Die Dosenbek
1.3.2 Ergebnis
2. Regionalstudie
2.1 Abfluß und Stoffverluste
2.1.1 Niederschlag
2.1.2 Abfluß
2.1.3 Konzentrationen
2.1.4 Stoffverluste
2.2 Strukturparameter zur Prozeßanalyse
2.2.1 Flächennutzung
2.2.2 Hangneigung
2.2.3 Ökotonenabstand
2.2.4 Wasserdurchfluß
2.3 Oberflächentemperatur
2.3.1 Temperaturverteilung der Berechnungsabschnitte und Einzugsgebiete
2.3.2 Oberflächentemperatur und Strukturparameter
2.3.3 Multitemporale Betrachtung
2.4 Bewertung der Landschaft anhand Wirkungsgrad und Phasenlage
2.4.1 Wirkungsgrad
2.4.2 Phasenlage der Einzugsgebiete
3. Zusammenfassung
G. Planung
1. Einleitung und Annahmen
2. Planungsgrundlagen
2.1 Geomorphologie als Grundlage
2.2 Bedeutung der Vegetation
3. Ausweisung der Vorranggebiete
4. Abgestufter Handlungsbedarf
5. Module zur Umsetzung
5.1 Kuppenlagen
5.2 Steilhänge
5.3 Fangsysteme entlang der Gewässer und Maßnahmen im Gewässer
5.3.1 Typ "Gewässerbegleitende Fangsysteme"
5.3.2 Typ "Temporäre Feuchtgebietskaskaden"
5.3.3 Typ "Feuchtgebiet mit Rieselstrecke"
5.4 Feuchtgebiete in Quellbereichen und an Gewässer-Zusammenflüssen
5.5 Polder zur Rückhaltung von Klarwasser
5.6 Bewirtschaftung auf den Flächen für die Land- und Forstwirtschaft
5.7 Siedlungsentwicklung
6. Zeitliche Komponente
6.1 Planung als zeitlicher Prozeß
6.2 Richtungssicherheit der Planung
6.2.1 Naturschutz
6.2.2 Hochwasserschutz
6.2.3 Klimaschutz
H. Umsetzung
1. Nachhaltigkeit heutiger Industriegesellschaften
2. Politische Rahmenbedingungen zur Selektion nachhaltigerer Bewirtschaftungsformen
2.1 Energiesteuer
2.2 Bodenwertsteuer und Bodenwertfreibetrag
2.3 Auswirkungen der Energie- und Bodensteuer auf die Wirtschaftsstruktur
3. Bewirtschafterebene
3.1 Der Wasserwirtschaft betreibende Landbewirtschafter
3.2 Ökologische und ökonomische Effekte der wasserhaushaltsbasierten Landbewirtschaftung
4. Technisch-administrative Ebene
5. Ausblick
I. Zusammenfassende Projektbewertung
1. Projektbewertung
2. Übertragbarkeit
3. Forschungs- und Handlungsbedarf
J. Literatur
K. Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
1. Abbildungsverzeichnis
2. Tabellenverzeichnis
Anhang 0: Die wichtigsten Karten
Karte 1: Berechnungsabschnitte
Karte 2: Hydrologisches Meßnetz
Karte 3: Hydrochemie-Meßnetz
Karte 4: Flächennutzung nach TK25
Karte 5: Flächennutzung: Klassifikation mit Landsat 5 TM
Karte 6: Bodentypenkarte in generalisierter Form
Karte 7: Höhenkarte
Karte 8: Hangneigung
Karte 9: Ökotonenabstand
Karte 10: Wasserdurchfluß
Karte 11: Wirkungsgrad: Abschätzung
Karte 12: Stoffverluste
Karte 13: Oberflächentemperatur 7. Juli 1987
Karte 14: Oberflächentemperatur 17. Mai 1992
Karte 15: Oberflächentemperatur 4. September 1991
Karte 16: Vorrangflächen zur Steigerung der Nachhaltigkeit
Anhang 1: Weitere Methoden <nicht enthalten>
1. Methodik der Gewässerkartierung
2. Liste der Probenahmestellen 1992-1994
3. Feldmethoden
4. Labormethoden
5. Zuordnung der Niederschlagsstationen zu den Pegeln
6. Heuristisches Abflußschätz-Verfahren
7. Beschreibung der im Projekt verwendeten Sonden
8. Erstellung der Bodenkarte
Anhang 2: Graphiken <nicht enthalten>
<Die Anhänge 1 und 2 befinden sich im Band 2 des Berichtes. Sie sind in der vorliegenden Datei nicht enthalten.>
Kurzbeschreibung des Stör-Projektes (I und II)
Problem
Lage des Projektgebietes
Forschungsansatz des Stör-Projektes
Der Forschungsansatz leitet sich aus dem Energie-Transport-Reaktionsmodell (ETR-Modell) ab. Dieses versucht, ökologische Systeme und damit die Landschaft funktional zu verstehen. Es ist ein auf den Wasserhaushalt und Energieumsatz reduziertes, konzeptionelles Denkmodell, das alle wesentlichen Prozesse in Raum und Zeit betrachtet und funktional verknüpft. Die Herangehensweise ist deduktiv und heuristisch.
Bei der ungestörten Entwicklung eines Ökosystems werden die Wasser- und Stoffkreisläufe immer kurzgeschlossener. Der Wasserhaushalt wird durch den Aufbau wasserspeichernder Strukturen (z.B. Streuschicht oder Torf) ausgeglichener. Die Feuchtigkeit des Oberbodens steigt an, die vegetationsgesteuerte Prozeßrückkopplung nimmt zu. Die Nachhaltigkeit, gemessen am Wirkungsgrad als Verhältnis von Stoffumsatz zu Stoffverlust des Systems, wird im Laufe der Entwicklung immer weiter erhöht. Diese Entwicklung wird in nichtlinearer Weise durch die zur Neige gehenden Stoffvorräte begrenzt. Größere Störpulse (z.B. hohe anthropogen verursachte Energieflußdichten durch Entwässerung) werfen das System in einen früheren Zustand zurück. Von diesem beginnt die Optimierung der Nachhaltigkeit dann erneut, sofern die Störpulse in ihrer Frequenz abnehmen. Die Nachhaltigkeit bzw. der Wirkungsgrad eines Ökosystems ist neben dem biologischen Stoffumsatz und den Verlusten auch über die Kühlfunktion der Landschaft ableitbar.
Das Projekt geht von folgender, aus dem ETR-Modell abgeleiteten, Hypothese für die hohen Stoffverluste aus:
Wird das Niederschlagswasser in der Landschaft nicht größtenteils über kurzgeschlossene Verdunstungs-Kondensationsprozesse oder oberflächennahen Abfluß transportiert, sondern versickert in den Boden, werden mineralisierte Stoffe gelöst. Es treten chemische Lösungs- und Fällungsreaktionen auf, die mit dem fließenden Wasser zu gerichteten Stofftransporten führen. Erreichen die Nährstoffe und Basen über die Fließgewässer das Meer, sind sie für die Landschaft und die Vegetation verloren (Verlustprozeß). Das Ausmaß des Mineralisationsprozesses im Boden hängt in starkem Maß von der räumlichen und zeitlichen Verteilung der wechselfeuchten Phasen (Schwanken des Bodenwasserspiegels) und der Bodentemperatur ab. Die Schwankungen des Bodenwasserspiegels und der Temperatur werden in einem entwickelten Ökosystem weitgehend von der Vegetation und der von ihr durchwurzelten Bodenschicht bestimmt. Die Kopplung zwischen Mineralisations- und Stoffaufnahmeprozeß durch die Vegetation als steuerndem "Prozessor" des Ökosystems ist heute stark herabgesetzt, bedingt durch die Veränderung des Wasserhaushaltes sowie der Nutzungsverteilung. Vor allem Eingriffe in die Vegetation und den Boden, wie z.B. Entwässerungen, führen zu einer nicht an die Vegetationsentwicklung rückgekoppelten, erhöhten Mineralisation von organischer Substanz. Es bilden sich starke Säuren, die durch die Basen gepuffert werden und so zu deren zunehmender Auswaschung aus dem durchwurzelbaren Oberboden in tiefere Schichten bzw. in die Gewässer führen. Ist der Standort bereits weitgehend an Basen verarmt, werden die Säuren aufgrund des gerichteten Wasserflusses an anderer, unterhalb liegender Stelle gepuffert und erhöhen dort die Basenverluste.
Durch diese Prozesse wird die Nachhaltigkeit der Landschaft bzw. deren Wirkungsgrad stark herabgesetzt.
Ziele des Forschungsprojektes
Die aus dem ETR-Modell abgeleiteten Arbeitshypothesen sollten überprüft und die bestimmenden Prozesse für den Stoffaustrag in ihrer regionalen Verteilung ermittelt werden. Daraus sollte ein Instrument entwickelt werden, das den raum-zeitlichen Handlungsbedarf aufzeigt, um ein richtungssicheres Handeln zur Steigerung der Nachhaltigkeit zu ermöglichen. Dazu notwendige Maßnahmen und gesellschaftliche Rahmenbedingungen sollten dargestellt werden.
Datenerfassung
Die wichtigsten erhobenen bzw. herangezogenen Daten sind:
- Abflüsse an 37 Meßpunkten (14 Landespegel, 23 projekteigene Sonden),
- monatliche Wasserprobennahmen zur chemischen Analyse der Wasserbeschaffenheit in den Gewässern 128 Meßpunkten,
- kontinuierliche Leitfähigkeitsmessungen an 10 Meßpunkten (ab März 1994),
- Niederschlagsmengen an 14 Meßstationen des Deutschen Wetterdienstes,
- Erfassung der monatlichen Niederschläge und ihrer chemischen Beschaffenheit an einem vom Projekt betreuten Meßpunkt,
- Bodenwasserganglinien an 30 Meßpunkten (projekteigene Sonden),
- Verteilung der vom Satelliten gemessenen Oberflächentempertur zu vier unterschiedlichen Zeitpunkten,
- Temperaturganglinien an 8 Meßpunkten (projekteigene Sonden) in 10 cm Bodentiefe, an der Bodenoberfläche, in 10 cm Höhe und in 2 m Höhe (ab Juni 1994),
- Flächennutzung (über TK 25 und Auswertung einer Satellitenszene),
- Lysimeterversuche im Labor und
- Makrophytenuntersuchungen in den Fließgewässern.
Zentrale Ergebnisse
Die Austräge an gelösten Salzen sind erheblich größer als die über Düngung und Niederschlag eingetragenen Mengen. Lysimeterversuche im Labor bestätigten den Einfluß der wechselfeuchten Phasen auf den Mineralisationsprozeß. Der Abfluß und nicht die Konzentration ist in der Regel die frachtbestimmende Größe. Die Morphologie der Gewässer und deren pflanzliche Ausstattung ist nicht in der Lage, die heutigen eingetragenen Stofffrachten zurückzuhalten bzw. umzusetzten. Die Stoffretention muß daher an Land erfolgen. Aus diesem Grund sind die sektoriellen Grenzen der Forschung und Bewirtschaftung durch neue Konzepte zu überwinden.
Neben der Notwendigkeit, die Landschaft insgesamt wieder mit mehr dauerhafter Biomasse auszustatten, wurden folgende allgemeine Bewirtschaftungsmaßnahmen abgeleitet:
- Kuppenlagen - sie sind besonders von der Auswaschung betroffen - sollten nicht oder nur extensiv bewirtschaftet werden.
- In Quellbereichen und an Zusammenflüssen von Gewässern sollten sich wieder die ursprünglich vorhandenen Feuchtgebiete entwickeln können. Das Wasser bleibt länger in der Landschaft, die wechselfeuchte Zone wird geringer. Der Wasserfluß ist gleichmäßiger. Der für die Ökologie entscheidende Basisabfluß in der Niedrigwasserperiode wird angehoben.
- Große Feuchtgebiete (Röhrichte oder Feuchtwälder) sollten als bewirtschaftete Stoffrückhalteflächen eingerichtet werden, in denen das aus der Landschaft abfließende Oberflächen- und Schichtenwasser durch Verdunstung verlangsamt wird. Durch Rückführung der gewonnen Basen und Nährstoffe in die höher gelegenen Flächen schließt sich der Stoffkreislauf.
- Organische Abfälle und Abwasser sind nach einer entsprechenden Aufbereitung in die Landschaft zurückzuführen, um den Stoffkreislauf kurzgeschlossen zu halten und die Verluste zu minimieren.
Durch solche, räumlich und zeitlich festzulegende Maßnahmen soll die Nachhaltigkeit der Landschaft erhöht werden: In einer Landschaft mit besserem Temperaturausgleich durch Verdunstung sinken die Stoffverluste, der Abfluß erfolgt gleichmäßiger und die Anzahl von Hochwasserereignissen verringert sich. Die Lebensgemeinschaften der Fließgewässer haben wieder die Möglichkeit, sich zu hochvergesellschafteten Strukturen zu optimieren, wodurch die Gewässer wieder ihren natürlichen Charakter zurück erhalten.
Über ein Geographisches Informationssystem (GIS) wurden Vorranggebiete ausgewiesen, die entweder sehr empfindlich auf den Auswaschungsprozeß reagieren oder deren Umgestaltung einen hohen Stoffrückhalt und damit eine hohe Maßnahmeneffizienz erwarten lassen. Um die beschriebenen Möglichkeiten zur Verringerung der Stoffverluste operabel zu machen, wurden Planungsmodule bzw. -vorschläge in allgemeiner Form beschrieben. Diese müssen der speziellen Situation in den jeweiligen Teilgebieten angepaßt werden.
Die Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen bietet neben der Erhöhung der Nachhaltigkeit eine gute Richtungssicherheit vieler bestehender Ziele im Natur-, Hochwasser- und Klimaschutz.
Gesellschaftliche Lösungsstrategie
Eine Gesellschaft kann nur dann dauerhaft bestehen, wenn sie die Landschaft als physische Basis durch eine nachhaltige Bewirtschaftung erhält. Eine Umorientierung in Richtung einer stoffverlustärmeren und daher dauerhafter funktionierenden Bewirtschaftung erfordert, daß das Nachhaltigkeitsprizip auf politischer Ebene oberste Priorität bekommt. Durch den Einsatz ökonomischer Steuerungsinstrumente müssen hier die erforderlichen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die in ihrem Zusammenwirken zur positiven Selektion nachhaltiger Wirtschaftsweisen führen. Analog zu ökosystemaren Regelungsmechanismen werden folgende ökonomischen Steuerungselemente vorgeschlagen:
- Lineare Energiesteuer (entspricht dem zeitlich strukturierten und dadurch zeitlich limitierten Energieangebot in der Natur).
- Progressive Bodenwertsteuer (entspricht der Limitierung des Raumes bzw. des Angebotes an Nährstoffen und Basen in der Natur) unter weitestgehender steuerlicher Entlastung der Dienstleistung.
- Individueller Bodenwertfreibetrag als soziale Basis anstelle eines sozialen Netzes (entspricht der Grundausstattung eines Standortes an Nährstoffen und Basen in der Natur).
Der technisch-administrativen Ebene käme nach einer solchen Umgestaltung in erster Linie eine beratende Funktion zu, z.B. bei der Ausweisung von Vorranggebieten für die Wassergewinnung oder den Umsetzungsmaßnahmen der Abwasseraufbereitung.
Auf der Bewirtschafterebene ist den Landbewirtschaftern (Land- und Forstwirten) die Wasserwirtschaft zwingend zuzuordnen, da vielfach durch eine nicht sachgemäße Wasserwirtschaft die Stoffverluste maximiert wurden. Die Landbewirtschafter wären für die Bereitstellung des Lebensmittels Wasser in Form sauberen Oberflächenwassers mit einem über das Jahr vergleichmäßigtem Dargebot verantwortlich. Sie würden nach Menge und Güte des Wassers in den Flüssen marktgerecht bezahlt.
Nach einer Phase der (stoffverlustreichen) wirtschaftlichen Expansionsstrategie würde somit eine Umstrukturierung eingeleitet werden, bei der wirtschaftliches Wachstum an eine Wirkungsgradsteigerung (Absenken von Stoffverlusten) gebunden wäre. Dadurch könnte der heutigen Gesellschaft und nachfolgenden Generationen eine "lebenswerte Zukunft" gesichert werden, anstelle weiter auf Kosten der nächsten Generationen zu leben.
Auftraggeber
Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) in Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Wasserhaushalt und Küsten Schleswig-Holstein
Wissenschaftliche Projektleitung
Prof. Dr. W. Ripl, TU Berlin, Institut für Ökologie - Fachgebiet Limnologie
Beteiligte Institutionen
Technische Universität Berlin
Limnologie, Prof. Dr. W. Ripl
Landschaftsplanung, Prof. F. Trillitzsch
Christian-Albrecht-Universität Kiel
Wasserwirtschaft und Meliorationswesen, Prof. Dr. P. Widmoser
Bodenkunde, Prof. Dr. H.-P. Blume
Deutsche Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Hauptabteilung Systemanalyse Raumfahrt, Dr. R. Backhaus
Gesellschaft für Gewässerbewirtschaftung mbH (GfG) Berlin
Finanzvolumen: 3,8 Mio DM
Laufzeit: 01.11.1990 - 31.03.1995