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Entwicklung eines Land-Gewässer Bewirtschaftungskonzeptes

zur Senkung von Stoffverlusten an Gewässer

(Stör-Projekt I und II)

im Auftrag des Bundesministeriums
für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF)
und des Landesamtes für Wasserhaushalt und Küsten Schleswig-Holstein
Förderkennzeichen: 0339310A und 0339538


Endbericht
Berlin, im Februar 1996
(Redaktionelle Überarbeitung 2008)



Wissenschaftliche Leitung:

Prof. Dr. W. Ripl, TUB

in Zusammenarbeit mit:
Prof. F. Trillitzsch, TUB
Dr. R. Backhaus, DLR
Prof. Dr. H.-P. Blume, CAU
Prof. Dr. P. Widmoser, CAU

Bearbeitung des Abschlußberichts:
Dipl.Ing. Th. Janssen, TU Berlin
Dipl.Ing. Ch. Hildmann, TU Berlin
cand. Ing. I. Otto, TU Berlin


Technische Universität Berlin
Deutsche Forschungsanstalt für Luft und Raumfahrt
Christian-Albrechts-Universität Kiel





<Aus Gründen des Copyright sind einige Graphiken in der vorliegenden Datei nicht enthalten.>


Vorwort

Das Forschungsprojekt "Entwicklung eines Land-Gewässer-Bewirt­schaf­tungskonzepts zur Sen­kung von Stoffverlusten an Gewässer" war für unser Forschungsteam eine ganz besondere Her­ausforderung. Über die Energie als funktionale Basis des Wasserhaushalts und der Vege­tation sollten deren strukturierende bzw. destrukturierende Wech­sel­wirkungen mit der Landschaft pro­zeßhaft beschrieben wer­den.

Dieser Ansatz ermöglicht es, die Landschaftsprozesse in ihrer Vielfalt hierarchisch zu gliedern. Nichtlineare, raum-zeitliche Zusammenhänge zwischen dem Energieangebot, der ständigen Po­tentialverteilung durch das Medium Wasser und den damit gekoppelten Transportprozessen, die zyklischen Stoffflüsse in der Vegetation und die irreversiblen Stoffflüsse über das Bodenwasser und die Fließgewässer zum Meer können damit beobachtet und verstanden werden. Daraus er­gibt sich die Möglichkeit, vage Begriffe wie Nachhaltigkeit bzw. Alterung der Landschaft und Sta­bilität der Ökosysteme schärfer zu fassen. Diese Begriffe können in einen operationalisierbaren Zusammenhang gestellt und raum- bzw. zeitbezogene Bewirtschaftungsansätze zur Steigerung der Nachhaltigkeit abgeleitet werden.

Es zeigte sich im Laufe des Projekts, daß der Schlüssel für eine wirkungsvolle ökologische Sa­nierung der Landschaft mit ihren Gewässern nur in flächenbezogenen Maßnahmen der Einzugs­gebiete liegen kann. Wasserwirtschaft und Landschaftsplanung müßten der raum- und zeitbezo­genen Flächenbewirtschaftung nachgeordnet werden. Die Land- und Forstwirtschaft müßte von der Gesellschaft für die Funktionen der Natur, wie Wasserhaushalt und Klima, und für Ver- und Entsorgung der dichtbesiedelten Gebiete mit Wasser und Nahrungsmitteln leistungsbezogen be­zahlt werden. Die Flächenbewirtschaftung müßte verteilungsbezogen, angepaßt und verlustmini­mierend erfolgen, wobei sich ein wesentlich höherer Anteil der Gesellschaft am Bewirt­schaftungsprozeß beteiligt. Dies könnte unsere Landschaft wieder zum Grünen bringen, das Klima und den Wasserhaushalt in der Landschaft stabilisieren und damit die Landschaft als funk­tionale Basis des Menschen wieder zukunftsfähig machen.

Ich möchte mich an dieser Stelle für die Förderung, den Mut, die Risikobereitschaft und für das in unser relativ kleines Team gesetzte Vertrauen der Mittelgeber, des BMBF - vertreten durch Herrn Ministerialrat Schulz und der Ministerin für Natur, Umwelt und Landesentwicklung des Landes Schleswig Holstein - bedanken. Besonderer Dank gebührt auch dem Abteilungsleiter Gewässer Landesamt für Natur und Umwelt Herrn P. Petersen, Herrn Dipl. Ing. K. Voss sowie Frau Dr. C. Krambeck, die dieses Projekt stets wohlwollend vertreten und durch konstruktive Kritik gefördert haben.

Ein besonderes Dankeschön gilt dem Team im weiteren Sinne, meinem Kollegen Herrn Prof. Trillitzsch, der DLR in Köln-Porz, insbesondere Herrn Dr. Backhaus, der Christian Albrechts Uni­versität in Kiel, den Kollegen Prof. Dr. Blume und Prof. Dr. Widmoser mit ihren Mitarbeitern.

Den Mitarbeitern des Fachgebiets Limnologie der TU Berlin und der Gesellschaft für Gewässer­bewirtschaftung möchte ich für ihren bedingungslosen Einsatz im Feld, im Laboratorium, in ihrem Ringen um Verständnis fachübergreifender Schnittstellen, ihre Loyalität und ihren Mut, mit mir auch manchmal gegen den Strom zu schwimmen, ganz herzlich danken. Sie haben sich durch ihre verdienstvolle Arbeit im Störprojekt im besonderen Ausmaß qualifiziert und möchten auch weiter an der notwendigen strukturellen Umgestaltung der Landschaft in Richtung Nachhaltigkeit beitragen. Als wissenschaftlicher Leiter wünschte ich, daß wir mit unserer Arbeit die Gesellschaft für die Probleme der Landschaft sensibilisieren und auf der Basis eines neuen Verständnisses der Zusammenhänge ein wenig von den notwendigen nächsten Schritten überzeugen könnten.

Berlin, im Februar 1996

Wilhelm Ripl


Inhaltsübersicht

Inhaltsverzeichnis
Kurzbeschreibung des Stör-Projektes (I und II)
A. Einleitung
B. Funktionales Leitbild
C. Gebietsbeschreibung
D. Methodik
E. Untersuchungen zu Kennfeldern und Austragsmechanismen
F. Ergebnisse der Gebietsanalyse
G. Planung
H. Umsetzung
I. Zusammenfassende Projektbewertung
J. Literatur
K. Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Anhang 1: Weitere Methoden
Anhang 2: Graphiken


Inhaltsverzeichnis

Kurzbeschreibung des Stör-Projektes (I und II)

A. Einleitung

B. Funktionales Leitbild

1. Energiedissipation als Grundlage funktionaler Ökosystemanalyse
1.1 Begriffsdefinitionen
1.2 Die Energiedissipation in der Natur
2. Organismengemeinschaften (Zönosenkernstrukturen) als energie­dissipative Strukturen
2.1 Die Zönosenkernstruktur
2.2 Wirkungsgrad energiedissipativer Strukturen
2.3 Die Steigerung des Wirkungsgrades (Selbstoptimierung) als thermodynami­sche Not­wendigkeit
3. Der Selbstoptimierungsprozeß als Entwicklung des Wasser- und Stoff­haushaltes in Richtung erhöhter Nachhaltigkeit
3.1 Dynamik in Wasser- und Stoffhaushalt bei geringem Wirkungsgrad
3.2. Dynamik in Wasser- und Stoffhaushalt bei optimiertem Wirkungsgrad
4. Selbstoptimierungsprozeß der Fließgewässer - eine Entwicklung in Rich­tung maximaler Nachhaltigkeit
4.1. Die Morphologie
4.1.1 Die Morphologie als energiedissipative Struktur
4.1.2 Selbstoptimierungsprozeß bei geringem Wirkungsgrad der Einzugsge­bietsstrukturen
4.1.3 Selbstoptimierungsprozeß bei optimalem Wirkungsgrad der Einzugsge­bietsstrukturen
4.1.4 Grundlagen einer funktionalen Strukturanalyse
4.2 Die Fließgewässerzönosen
4.2.1 Die Fließgewässer-ZKS als energiedissipative Struktur
4.2.2 Selbstoptimierungsprozeß der Fließgewässer-ZKS bei geringem Wir­kungsgrad der Einzugsgebietsstrukturen
4.2.3 Selbstoptimierungsprozeß der Fließgewässer-ZKS bei optimalem Wir­kungsgrad der Einzugsgebietsstrukturen
4.2.4 Grundlagen einer funktionalen Strukturanalyse
5. Leitbildanforderungen für natürliche Systeme
5.1 Leitbildanforderungen zur Senkung der Stoffverluste in die Fließgewässer
5.2 Leitbildanforderungen zur Minimierung der Stoffverluste in Fließge­wässern

C. Gebietsbeschreibung
1. Lage und naturräumliche Eigenschaften
1.1 Lage und Flächennutzung
1.2 Geologie und Böden
1.2.1 Böden der Jungmoränenausläufer
1.2.2 Böden der Niederen Geest
1.2.3 Böden der Hohen Geest
1.3 Vegetation
2. Historische Entwicklung des Gebietswasserhaushaltes
2.1 Einleitung
2.2 Historische Entwicklung des Wasserhaushaltes im Einzugsgebiet der Stör

D. Methodik
1. Heuristik und Mustererkennung
1.1 Heuristik
1.2 Muster
1.3 Heuristik zur Erfassung des Stoffaustragsprozesses
2. Analyse der Transportprozesse anhand der Gewässermorphologie
2.1 Indikatoreigenschaften der Fließgewässer
2.2 Die Indikatoreigenschaft der Morphologie für die Transportprozesse
2.2.1 Auswahl der morphologischen Parameter
2.2.2 Festlegung der Kartierquerschnitte
2.2.3 Festlegung des Kartierzeitraums
3. Meßkonzept
3.1 Abflußmessung
3.2 Konzentrationsmessungen
3.3 Einsatz der Leitfähigkeitsonden
3.4 Temperaturmessung
3.5 Bodenwasserpegel
3.6 Niederschlagsmessung
4. Fernerkundung
4.1 Flächennutzung
4.2 Oberflächentemperatur
5. Grundlagenkarten
5.1 Flächennutzung
5.2 Bodenkarte
5.3 Digitales Höhenmodell (DHM)
5.4 Karte der Teileinzugsgebiete
6. Abgeleitete Karten
6.1 Hangneigung
6.2 Ökotonenabstand
6.3 Wasserdurchfluß
6.4 Wirkungsgrad
6.5 Vorranggebiete

E. Untersuchungen zu Kennfeldern und Austragsmechanismen
1. Kennfelder zur Zönosenkernstruktur
1.1 Temperatursonden
1.2 Temperaturdaten vom Satelliten
2. Mechanismen der Stofffestlegung und des Stoffaustrags
2.1 Transport- und Reaktionsprozesse im Einzugsgebiet
2.1.1 Anorganische Lösungs-/Fällungsprozesse und biologische Prozesse
2.1.2 Bodenprozesse bei unterschiedlichem landschaftlichen Wirkungsgrad
2.1.3 Einfluß der Partikeloberfläche auf den Stoffaustausch zwischen Wasser und Sub­strat
2.1.4 Jahreszeitliche Differenzierung des Austragsprozesses
2.1.5 Bedeutung des Abflusses in seiner raum-zeitlichen Verteilung auf den Stoffaustrag
2.2 Stoffestlegung im Gewässer
3. Konzentrationsmuster

F. Ergebnisse der Gebietsanalyse
1. Beurteilung des Störgebietes
1.1 Stoffausträge und Stoffbilanzen
1.1.1 Eintrag über die Niederschläge
1.1.2 Abfluß als frachtbestimmende Größe
1.1.3 Leitfähigkeits-Abfluß-Beziehung
1.1.4 Basenvorräte der Oberböden
1.1.5 Stoffbilanz am Beispiel des Calciums
1.1.6 Anreicherung von Schwermetallen
1.2 Prozeßanalyse
1.2.1 Veränderung der Niederschlagsmuster
1.2.2 Muster des Bodenwasserspiegels
1.3. Fließgewässer als Indikatoren des Wasser- und Stoffhaushaltes des Ein­zugsgebietes
1.3.1 Die Gewässeranalyse am Beispiel von Himmelreichbach, Osterau und Dosenbek
1.3.1.1 Der Himmelreichbach
1.3.1.2 Die Osterau
1.3.1.3 Die Dosenbek
1.3.2 Ergebnis
2. Regionalstudie
2.1 Abfluß und Stoffverluste
2.1.1 Niederschlag
2.1.2 Abfluß
2.1.3 Konzentrationen
2.1.4 Stoffverluste
2.2 Strukturparameter zur Prozeßanalyse
2.2.1 Flächennutzung
2.2.2 Hangneigung
2.2.3 Ökotonenabstand
2.2.4 Wasserdurchfluß
2.3 Oberflächentemperatur
2.3.1 Temperaturverteilung der Berechnungsabschnitte und Einzugsgebiete
2.3.2 Oberflächentemperatur und Strukturparameter
2.3.3 Multitemporale Betrachtung
2.4 Bewertung der Landschaft anhand Wirkungsgrad und Phasenlage
2.4.1 Wirkungsgrad
2.4.2 Phasenlage der Einzugsgebiete
3. Zusammenfassung

G. Planung
1. Einleitung und Annahmen
2. Planungsgrundlagen
2.1 Geomorphologie als Grundlage
2.2 Bedeutung der Vegetation
3. Ausweisung der Vorranggebiete
4. Abgestufter Handlungsbedarf
5. Module zur Umsetzung
5.1 Kuppenlagen
5.2 Steilhänge
5.3 Fangsysteme entlang der Gewässer und Maßnahmen im Gewässer
5.3.1 Typ "Gewässerbegleitende Fangsysteme"
5.3.2 Typ "Temporäre Feuchtgebietskaskaden"
5.3.3 Typ "Feuchtgebiet mit Rieselstrecke"
5.4 Feuchtgebiete in Quellbereichen und an Gewässer-Zusammenflüssen
5.5 Polder zur Rückhaltung von Klarwasser
5.6 Bewirtschaftung auf den Flächen für die Land- und Forstwirtschaft
5.7 Siedlungsentwicklung
6. Zeitliche Komponente
6.1 Planung als zeitlicher Prozeß
6.2 Richtungssicherheit der Planung
6.2.1 Naturschutz
6.2.2 Hochwasserschutz
6.2.3 Klimaschutz

H. Umsetzung
1. Nachhaltigkeit heutiger Industriegesellschaften
2. Politische Rahmenbedingungen zur Selektion nachhaltigerer Bewirtschaftungs­formen
2.1 Energiesteuer
2.2 Bodenwertsteuer und Bodenwertfreibetrag
2.3 Auswirkungen der Energie- und Bodensteuer auf die Wirtschaftsstruktur
3. Bewirtschafterebene
3.1 Der Wasserwirtschaft betreibende Landbewirtschafter
3.2 Ökologische und ökonomische Effekte der wasserhaushaltsbasierten Landbewirt­schaftung
4. Technisch-administrative Ebene
5. Ausblick

I. Zusammenfassende Projektbewertung
1. Projektbewertung
2. Übertragbarkeit
3. Forschungs- und Handlungsbedarf

J. Literatur

K. Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

1. Abbildungsverzeichnis
2. Tabellenverzeichnis

Anhang 0: Die wichtigsten Karten
Karte 1: Berechnungsabschnitte
Karte 2: Hydrologisches Meßnetz
Karte 3: Hydrochemie-Meßnetz
Karte 4: Flächennutzung nach TK25
Karte 5: Flächennutzung: Klassifikation mit Landsat 5 TM
Karte 6: Bodentypenkarte in generalisierter Form
Karte 7: Höhenkarte
Karte 8: Hangneigung
Karte 9: Ökotonenabstand
Karte 10: Wasserdurchfluß
Karte 11: Wirkungsgrad: Abschätzung
Karte 12: Stoffverluste
Karte 13: Oberflächentemperatur 7. Juli 1987
Karte 14: Oberflächentemperatur 17. Mai 1992
Karte 15: Oberflächentemperatur 4. September 1991
Karte 16: Vorrangflächen zur Steigerung der Nachhaltigkeit

Anhang 1: Weitere Methoden
<nicht enthalten>
1. Methodik der Gewässerkartierung
2. Liste der Probenahmestellen 1992-1994
3. Feldmethoden
4. Labormethoden
5. Zuordnung der Niederschlagsstationen zu den Pegeln
6. Heuristisches Abflußschätz-Verfahren
7. Beschreibung der im Projekt verwendeten Sonden
8. Erstellung der Bodenkarte

Anhang 2: Graphiken
<nicht enthalten>

<Die Anhänge 1 und 2 befinden sich im Band 2 des Berichtes. Sie sind in der vorliegenden Datei nicht enthalten.>


Kurzbeschreibung des Stör-Projektes (I und II)

Problem

Aus den Einzugsgebieten der größeren deutschen Flüsse werden sehr große Mengen an gelö­sten mineralischen Salzen ausgetragen, z.B. 1,2 t/ha/a (ohne Natriumchlorid) für den Rhein. Das bear­beitete Einzugs­gebiet der Stör weist einen Austrag von etwa einer Tonne pro Hektar und Jahr auf. Der An­teil der basischen Kationen (Calcium, Magne­sium und Kalium) liegt bei knapp 30%. Die Werte der Austräge für die Nährstoffe Phosphor (Ges.P) und Stickstoff (Ges.N) betragen < 0,1% bzw. 1,5% der minerali­schen Salzausträge. Die Austräge an mineralischen Salzen sind erheblich grö­ßer als die Einträge über Düngung und Niederschlag. Es ist zu erwarten, daß der Oberboden auf rasch zunehmender Fläche an Basen verarmt. Das Verhältnis im Oberboden zwi­schen Basen ei­nerseits und nicht für die Vegetation nutzbaren Stoffen sowie Schadstoffen anderer­seits wird gerin­ger. Hierdurch wird das gesamte Ökosystem nachhaltig geschädigt. Die Natur als Basis für den Menschen und die Gesellschaft ist damit ernsthaft in Frage gestellt.


Lage des Projektgebietes

Die Stör entspringt bei Willingrade südöstlich von Neumünster in Schleswig-Holstein. Sie durch­fließt die hohe Geest im Gebiet um Neumünster und mündet unterhalb Hamburgs in das Elbe­ästuar. Untersucht wurde das nicht mehr von Tidewasser be­einflußte Einzugs­gebiet (ca. 1150 km2) bis Kellinghusen.


Forschungsansatz des Stör-Projektes

Der Forschungsansatz leitet sich aus dem Energie-Transport-Reaktionsmodell (ETR-Modell) ab. Dieses versucht, ökologische Systeme und damit die Landschaft funktional zu verstehen. Es ist ein auf den Wasserhaushalt und Energieumsatz reduziertes, konzeptio­nelles Denkmodell, das alle wesentlichen Prozesse in Raum und Zeit be­trachtet und funktional verknüpft. Die Herangehens­weise ist deduktiv und heuri­stisch.

Der tägliche Energiepuls der Sonne treibt alle Prozesse; das Medium Wasser verteilt die Poten­tiale, ist Transport- und Reaktionsmittel, wobei der Transport eine notwen­dige Vor­aussetzung für die Reaktion ist (deshalb ETR-Modell). Das Wasser reagiert in Organismen und in der Land­schaft. Der Energiepuls wird vom Ökosystem bzw. der Vegetation auf eine mittlere Temperatur einge­lenkt. Dies wird als Energiedissipation bzw. Absenkung der Energieflußdichte bezeichnet. Öko­logische Strukturen sind dissi­pativ, indem sie Wasser transportieren, verdunsten und ihren Stoffwechsel betreiben. Vor allem durch Verdunstung und Taubildung werden die Temperatu­runterschiede des Ökosystems räumlich und zeitlich geringer.

Bei der ungestörten Entwicklung eines Ökosystems werden die Wasser- und Stoffkreis­läufe im­mer kurzgeschlossener. Der Wasserhaushalt wird durch den Aufbau wasser­speichernder Struktu­ren (z.B. Streuschicht oder Torf) ausgeglichener. Die Feuchtigkeit des Oberbodens steigt an, die vegetati­onsgesteuerte Prozeßrückkopplung nimmt zu. Die Nach­haltigkeit, gemessen am Wir­kungsgrad als Verhältnis von Stoffumsatz zu Stoffverlust des Systems, wird im Laufe der Ent­wicklung immer weiter erhöht. Diese Entwicklung wird in nichtlinearer Weise durch die zur Neige gehenden Stoffvorräte begrenzt. Größere Störpulse (z.B. hohe anthropogen verur­sachte Ener­gieflußdichten durch Entwässerung) werfen das System in einen früheren Zustand zurück. Von diesem beginnt die Optimierung der Nachhaltigkeit dann erneut, sofern die Störpulse in ihrer Fre­quenz abnehmen. Die Nachhaltigkeit bzw. der Wirkungsgrad eines Ökosystems ist neben dem biolo­gischen Stoffumsatz und den Verlusten auch über die Kühlfunktion der Land­schaft ableit­bar.

Das Projekt geht von folgender, aus dem ETR-Modell abgeleiteten, Hypothese für die hohen Stoffverluste aus:

Wird das Niederschlagswasser in der Landschaft nicht größtenteils über kurzgeschlos­sene Ver­dunstungs-Kondensationsprozesse oder oberflächennahen Ab­fluß transportiert, sondern ver­sickert in den Boden, werden mineralisierte Stoffe ge­löst. Es treten chemische Lösungs- und Fäl­lungsreaktionen auf, die mit dem fließenden Wasser zu gerichteten Stofftransporten führen. Er­reichen die Nährstoffe und Basen über die Fließgewässer das Meer, sind sie für die Landschaft und die Vege­tation verloren (Verlustprozeß). Das Ausmaß des Minerali­sationsprozesses im Bo­den hängt in star­kem Maß von der räumlichen und zeitlichen Verteilung der wechselfeuchten Phasen (Schwanken des Bodenwasserspiegels) und der Bodentemperatur ab. Die Schwan­kungen des Bodenwasserspiegels und der Temperatur wer­den in einem entwickelten Öko­system weitgehend von der Vegetation und der von ihr durchwur­zelten Bodenschicht bestimmt. Die Kopplung zwischen Mi­neralisations- und Stoffaufnahmepro­zeß durch die Vegetation als steuern­dem "Prozes­sor" des Ökosystems ist heute stark herabgesetzt, bedingt durch die Veränderung des Wasserhaushaltes sowie der Nutzungsverteilung. Vor allem Eingriffe in die Vegetation und den Boden, wie z.B. Entwässerungen, führen zu einer nicht an die Vegeta­tionsentwicklung rück­gekoppelten, erhöhten Mineralisation von organischer Sub­stanz. Es bilden sich starke Säuren, die durch die Basen gepuffert werden und so zu deren zunehmender Aus­waschung aus dem durchwurzelbaren Oberboden in tiefere Schichten bzw. in die Gewässer füh­ren. Ist der Standort bereits weitgehend an Basen verarmt, werden die Säuren aufgrund des gerichteten Wasser­flusses an anderer, unterhalb liegender Stelle gepuffert und erhöhen dort die Basenverluste.

Durch diese Prozesse wird die Nachhaltigkeit der Landschaft bzw. deren Wirkungsgrad stark herab­gesetzt.


Ziele des Forschungsprojektes

Die aus dem ETR-Modell abgeleiteten Arbeitshypothesen sollten überprüft und die bestim­menden Prozesse für den Stoffaustrag in ihrer regionalen Verteilung ermittelt werden. Daraus sollte ein Instrument entwickelt werden, das den raum-zeitlichen Handlungsbedarf aufzeigt, um ein richtungssicheres Handeln zur Steigerung der Nachhaltig­keit zu ermög­lichen. Dazu notwen­dige Maßnahmen und gesellschaftliche Rahmenbedingungen sollten dargestellt werden.


Datenerfassung

Die wichtigsten erhobenen bzw. herangezogenen Daten sind:

  • Abflüsse an 37 Meßpunkten (14 Landespegel, 23 projekteigene Sonden),
  • monatliche Wasserprobennahmen zur chemischen Analyse der Wasserbeschaffen­heit in den Gewässern 128 Meßpunkten,
  • kontinuierliche Leitfähigkeitsmessungen an 10 Meßpunkten (ab März 1994),
  • Niederschlagsmengen an 14 Meßstationen des Deutschen Wetterdienstes,
  • Erfassung der monatlichen Niederschläge und ihrer chemischen Beschaffenheit an einem vom Projekt betreuten Meß­punkt,
  • Bodenwasserganglinien an 30 Meßpunkten (projekteigene Sonden),
  • Verteilung der vom Satelliten gemessenen Oberflächentempertur zu vier unterschiedlichen Zeitpunkten,
  • Temperatur­ganglinien an 8 Meßpunkten (projekteigene Sonden) in 10 cm Bodentiefe, an der Boden­oberfläche, in 10 cm Höhe und in 2 m Höhe (ab Juni 1994),
  • Flächennutzung (über TK 25 und Auswertung einer Satellitenszene),
  • Lysimeterversuche im Labor und
  • Makrophytenuntersuchungen in den Fließgewässern.


Zentrale Ergebnisse

Die Austräge an gelösten Salzen sind erheblich größer als die über Düngung und Nieder­schlag eingetragenen Mengen. Lysimeterversuche im Labor bestätigten den Einfluß der wechselfeuch­ten Phasen auf den Mineralisationsprozeß. Der Abfluß und nicht die Konzen­tration ist in der Re­gel die frachtbestimmende Größe. Die Mor­phologie der Gewässer und deren pflanzliche Aus­stattung ist nicht in der Lage, die heutigen eingetragenen Stofffrachten zurückzuhalten bzw. um­zusetzten. Die Stoffreten­tion muß daher an Land erfolgen. Aus diesem Grund sind die sektoriel­len Grenzen der Forschung und Bewirtschaftung durch neue Konzepte zu überwinden.

Neben der Notwendigkeit, die Landschaft insgesamt wieder mit mehr dauerhafter Biomasse aus­zustatten, wurden folgende allgemeine Bewirtschaftungsmaßnahmen abgeleitet:

  1. Kuppenlagen - sie sind besonders von der Auswaschung betroffen - sollten nicht oder nur ex­tensiv bewirtschaftet werden.
  2. In Quellbereichen und an Zusammenflüssen von Gewässern sollten sich wieder die ursprüng­lich vorhandenen Feuchtgebiete entwickeln können. Das Wasser bleibt länger in der Land­schaft, die wechselfeuchte Zone wird geringer. Der Wasserfluß ist gleich­mäßiger. Der für die Ökologie entscheidende Basisabfluß in der Niedrig­wasserperiode wird ange­hoben.
  3. Große Feuchtgebiete (Röhrichte oder Feuchtwälder) sollten als bewirt­schaftete Stoffrückhalte­flächen eingerichtet werden, in denen das aus der Landschaft abflie­ßende Oberflächen- und Schichtenwasser durch Verdunstung verlangsamt wird. Durch Rückführung der gewonnen Ba­sen und Nährstoffe in die höher gelegenen Flächen schließt sich der Stoffkreislauf.
  4. Organische Abfälle und Abwasser sind nach einer entsprechenden Aufbereitung in die Land­schaft zurückzufüh­ren, um den Stoffkreislauf kurzgeschlossen zu halten und die Verluste zu minimieren.

Durch solche, räumlich und zeitlich festzulegende Maßnahmen soll die Nachhal­tigkeit der Land­schaft erhöht werden: In einer Landschaft mit besserem Temperaturausgleich durch Verdunstung sinken die Stoffverluste, der Abfluß erfolgt gleichmäßiger und die An­zahl von Hochwasserereig­nissen verringert sich. Die Lebensgemeinschaften der Fließgewäs­ser haben wieder die Möglich­keit, sich zu hochvergesellschafteten Strukturen zu optimieren, wodurch die Gewässer wieder ihren natürlichen Charakter zurück er­halten.

Über ein Geographisches Informationssystem (GIS) wurden Vorranggebiete ausgewiesen, die entweder sehr empfindlich auf den Auswaschungsprozeß reagieren oder deren Umgestaltung einen hohen Stoffrückhalt und damit eine hohe Maßnahmeneffizienz erwarten lassen. Um die be­schriebenen Möglichkeiten zur Verringerung der Stoffverluste operabel zu machen, wurden Planungsmodule bzw. -vorschläge in allgemeiner Form beschrieben. Diese müssen der speziel­len Situation in den jeweiligen Teilgebieten angepaßt werden.

Die Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen bietet neben der Erhöhung der Nachhaltigkeit eine gute Richtungssicherheit vieler bestehender Ziele im Natur-, Hochwasser- und Klimaschutz.

Gesellschaftliche Lösungsstrategie

Eine Gesellschaft kann nur dann dauerhaft bestehen, wenn sie die Landschaft als physische Ba­sis durch eine nachhaltige Bewirtschaftung erhält. Eine Umorientierung in Richtung einer stoff­verlustärmeren und daher dauerhafter funktionierenden Bewirtschaftung erfordert, daß das Nachhaltigkeitsprizip auf politischer Ebene oberste Priorität bekommt. Durch den Einsatz ökono­mischer Steuerungsinstrumente müssen hier die erforderlichen gesellschaftlichen Rahmenbe­dingungen geschaffen werden, die in ihrem Zusammenwirken zur positiven Selektion nachhalti­ger Wirtschaftsweisen führen. Analog zu ökosystemaren Regelungsmechanismen werden fol­gende ökonomischen Steuerungselemente vorgeschlagen:

  1. Lineare Energiesteuer (entspricht dem zeitlich strukturierten und dadurch zeitlich limitierten Energieangebot in der Natur).
  2. Progressive Bodenwertsteuer (entspricht der Limitierung des Raumes bzw. des Angebotes an Nährstoffen und Basen in der Natur) unter weitestgehender steuerlicher Entlastung der Dienstleistung.
  3. Individueller Bodenwertfreibetrag als soziale Basis anstelle eines sozialen Netzes (entspricht der Grundausstattung eines Standortes an Nährstoffen und Basen in der Natur).

Der technisch-administrativen Ebene käme nach einer solchen Umgestaltung in erster Linie eine beratende Funktion zu, z.B. bei der Ausweisung von Vorranggebieten für die Wassergewinnung oder den Umsetzungsmaßnahmen der Abwasseraufbereitung.

Auf der Bewirtschafterebene ist den Landbewirtschaftern (Land- und Forstwirten) die Wasserwirt­schaft zwingend zuzuordnen, da vielfach durch eine nicht sachgemäße Wasserwirtschaft die Stoffverluste maximiert wurden. Die Landbewirtschafter wären für die Bereitstellung des Lebens­mittels Wasser in Form sauberen Oberflächenwassers mit einem über das Jahr vergleichmäßig­tem Dargebot verantwortlich. Sie würden nach Menge und Güte des Wassers in den Flüssen marktgerecht bezahlt.

Nach einer Phase der (stoffverlustreichen) wirtschaftlichen Expansionsstrategie würde somit eine Umstrukturierung eingeleitet werden, bei der wirtschaftliches Wachstum an eine Wirkungsgrad­steigerung (Absenken von Stoffverlusten) gebunden wäre. Dadurch könnte der heutigen Gesell­schaft und nach­folgenden Ge­nerationen eine "lebenswerte Zukunft" gesichert werden, anstelle weiter auf Kosten der nächsten Generationen zu leben.


Auftraggeber

Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) in Zusam­menarbeit mit dem Landes­amt für Was­serhaushalt und Küsten Schleswig-Holstein


Wissenschaftliche Projektleitung

Prof. Dr. W. Ripl, TU Berlin, Institut für Ökologie - Fachgebiet Limnologie


Beteiligte Institutionen

Technische Universität Berlin
Limnologie, Prof. Dr. W. Ripl
Landschaftsplanung, Prof. F. Trillitzsch

Christian-Albrecht-Universität Kiel
Wasserwirtschaft und Meliorationswesen, Prof. Dr. P. Widmoser
Bodenkunde, Prof. Dr. H.-P. Blume

Deutsche Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Hauptabteilung Systemanalyse Raumfahrt, Dr. R. Backhaus

Gesellschaft für Gewässerbewirtschaftung mbH (GfG) Berlin

Finanzvolumen: 3,8 Mio DM
Laufzeit: 01.11.1990 - 31.03.1995

   
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